Zunehmender Druck auf Höhe der Steuerzinsen – VIII. BFH-Senat hält Zinshöhe ab 2012 für verfassungswidrig

Wann kommt der „Dammbruch“ für sinkende Steuerzinsen?

Die Reduzierung des Zinssatzes von 6% p.a. gemäß § 238 Abs. 1 AO scheint jetzt in greifbare Nähe zu rücken: Jetzt hat sich auch der VIII. Senat des BFH (Beschluss vom 3.9.2018 – VIII B 15/18)  dem IX. BFH-Senat angeschlossen. Auch er hat schwerwiegende Zweifel daran, dass der Zinssatz von 6% p.a. in § 238 Abs. 1 AO verfassungsgemäß ist und deshalb einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) bei Aussetzungszinsen stattgegeben. Mehr noch: Nach Ansicht des VIII. Senats gilt dies sogar bereits seit (November) 2012. Jetzt wartet ganz Deutschland gespannt auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17), das womöglich noch in diesem Jahr über die Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe entscheidet.

Sie kennen aus meinen früheren Blogs den Hintergrund: Im April 2018 hatte der IX. BFH-Senat (Beschluss v. 25.4.2018 – IX B 21/18)  schwere verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Zinssatz geäußert. Die Entscheidung betraf Zinszeiträume ab April 2015. Kurz darauf veröffentlichte das BMF ein Schreiben (v. 14.6.2018 –  IV A 3 – S 0465/18/10005-01). In diesem Schreiben ordnet  das BMF alle Finanzämter an, für sämtliche Zinszeiträume ab April 2015 Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, wenn Steuer­pflichtige dies beantragen.

Gegenstand der aktuellen BFH-Entscheidung

Der Streitfall der aktuellen Entscheidung des VIII. BFH-Senats betrifft Zinsen, die Finanzämter festsetzen können, wenn sie im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens Aussetzung der Vollziehung gewährt haben, aber das Rechtsbehelfsverfahren später erfolglos war (§ 237 Abs. 1 S. 1 AO). Im Ausgangsfall war der Steuerpflichtige ohne Erfolg gegen Einkommensteuerbescheide für 2007, 2008 und 2010 vorgegangen. Nach erfolglosem Rechtsbehelfsverfahren setzte das Finanzamt Aussetzungszinsen für den Zeitraum November 2012 bis September 2016 fest. Dagegen wehrte sich der Steuerzahler und beantragte AdV. Diesem Aussetzungs­antrag hat der  BFH im Beschwerdeverfahren jetzt stattgegeben.

Paukenschlag: Zinssatzhöhe bereits ab 2012 beanstandet!

Der BFH begründet sein Verdikt mit den verfassungsrechtlichen Bedenken, die der IX. BFH-Senat im April 2018 geäußert hatte. Dabei bestätigt der BFH, dass diese Bedenken für alle Zinsfestsetzungen gelten, die sich auf den 6%igen Zinssatz gemäß § 238 Abs. 1 AO stützen. Darüber hinaus zweifelt der BFH auch bereits für den Zinszeitraum November 2012 bis März 2015 an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsfestsetzung. Er begründet seine Bedenken mit Verfassungsbeschwerden, die für diese Zinszeiträume beim BVerfG anhängig sind.

Vor dem BFH-Beschluss vom September 2018 hatte bereits das FG Münster im August (Beschl. v. 31.8.18 9 V 2360/18 E, Beschwerde beim BFH unter VIII B 128/18) für Zeiträume ab 2014 ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Zinssatzhöhe für Aussetzungszinsen (§ 237 AO) angemeldet. Diese Sichtweise wird der gleiche BFH-Senat im Verfahren VIII B 128/18 sicher bestätigen, nachdem er inzwischen sogar die Zinshöhe ab 2012 beanstandet. Der BFH erkennt in seinem Beschluss vom September auch kein öffentliches Interesse an der Vollziehung der Aussetzungszinsen, weil „dem Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Anpassung der Zinshöhe bekannt ist“.

Wann handelt endlich der Gesetzgeber?

Was bedeutet die neue Entscheidung für die Praxis, wie sollten sich Steuerpflichtige jetzt verhalten? Steuerpflichtige sollten jedenfalls gegen jede (ungünstige) Zinsfestsetzung vorgehen, die auf § 238 Abs. 1 AO gestützt wird und zu einer Zahllast führt. Für Zeiträume ab April 2015 werden die Finanzämter dabei inzwischen immer Aussetzung der Vollziehung gewähren. Für Zeiträume von November 2012 bis März 2015 bestehen jetzt aber  gute Aussichten, ebenfalls Aussetzung der Vollziehung zu erhalten. Insoweit darf gespannt abgewartet werden darf, wie schnell die Finanzverwaltung jetzt auf den neuen BFH-Beschluss reagiert.

Und für alle Steuerzahler ist wichtig: Betroffen sind alle in der AO geregelten Zinsen ihrer Höhe nach. Das trifft den Steuerpflichtigen positiv oder negativ bei Stundungszinsen (§ 234 AO); Hinterziehungszinsen (§235 AO), Aussetzungszinsen (§ 237 AO), aber auch bei Erstattungszinsen (§ 233a AO) oder Prozesszinsen. Wer noch hohe Erstattungszinsen des Finanzamtes zu erwarten hat, sollte sich schnell um bestandskräftige Steuerbescheide bemühen, bevor es zu spät ist.

Die neue BFH-Entscheidung ist aber auch ein deutlicher Weckruf für den Gesetzgeber, endlich aktiv zu werden. Erste Aktivitäten sind auf Länderebene bereits erfolgt: Die Bundesländer Bayern und Hessen haben eine Gesetzesinitiative gestartet, den Zinssatz auf 3% zu halbieren (BR-Drucksache 324/18, 396/18), Hessen hat sogar einen Entschließungsantrag zu Einführung eines variablen, marktreagiblen Zinssatzes eingebracht (BR-Drucksache 397/18).

Weitere Informationen:

Ein Kommentar zu “Zunehmender Druck auf Höhe der Steuerzinsen – VIII. BFH-Senat hält Zinshöhe ab 2012 für verfassungswidrig

  1. Zum Thema „Wann handelt der Gesetzgeber?“:

    Interessant ist auch der Hinweis im BFH-Beschluss vom 25.4.2018, IX B 21/18 auf das bayerische Kommunalabgabenrecht: Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. dd des Kommunalabgabengesetzes Bayern (KAG BY): 2 % über Basisizinsatz gem. § 247 BGB

    Wörtlich heißt es im BFH-Beschluss aaO:“
    „…Dies belegt, dass die Praktikabilität oder die Verwaltungsvereinfachung nicht mehr einen realitätsfernen Zinssatz rechtfertigen, wenn es bei den Kommunalabgaben eines Bundeslandes für vergleichbare Zinsfestsetzungen möglich ist, einen realitätsgerechteren Zinssatz als Bezugsgröße zu wählen.“

    MfG
    Tobias Häußler

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