Wann kommt das vollständige Soli-Abschaffungsgesetz?

Auch im Koalitionsausschuss vom 18.8.2019 konnten sich die Regierungsparteien nach den unterschiedlichen Modellen vom BMF und BMWi nicht auf einen gemeinsamen Kurs zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags einigen. Dabei steigen die verfassungsrechtlichen Risiken immens.

Hintergrund

Ich hatte berichtet: Das BMF hat am 6.8.2019 einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dessen Inhalt ab 2021 rund 90 Prozent der Steuerzahler vom Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 Prozent der tariflichen Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer befreit werden sollen. In einer sog. Milderungszone sollen rund weitere 6,5 Prozent der Steuerzahler stufenweise entlastet werden, weitere 3,5 Prozent (Spitzenverdiener) sollen den Soli unverändert zahlen.

Der Haken: Gerade diejenigen, die schon heute mehr als die Hälfte des Soli-Aufkommens beitragen, sollen weiterhin belastet werden. Das würde vor allem die Wirtschaft hart treffen, da 85 Prozent der Unternehmen Personengesellschaften mit einem Soli-Aufkommen von rund 3,2 Mrd Euro sind, im Übrigen Kapitalgesellschaften ein weiteres Soli-Aufkommen von rund 2 Mrd. Euro beisteuern.

Stufenplan des BMWi zur vollständigen Soli-Abschaffung

Vor diesem Hintergrund hat Bundeswirtschaftsminister Altmaier – obwohl fachlich nicht zuständig – letzte Woche einen eigenen Plan vorgelegt, der die vollständige Abschaffung des Soli bis 2026 vorsieht: Durch eine Freibetragsregelung sollen 90 Prozent im Jahr 2021, 97 Prozent im Jahr 2024 und 100 Prozent des Soli im Jahr 2026 abgeschafft werden, davon würden auch alle Unternehmen und Besserverdiener profitieren. Das BMF hat dies postwendend zurückgewiesen: Eine Steuerentlastung für „Reiche“ werde es nicht geben. Die Wirtschaftsverbände haben diesen Vorschlag im Grundsatz begrüßt, halten aber die Fristenregelung für verkehrt: Der Soli müsse früher fallen.

Verfassungsrechtliche Risiken unübersehbar

Die Bundesregierung ist gut beraten, sich jetzt schnell zu einigen, denn ansonsten drohen bei einem Verdikt des Bundesverfassungsgerichts ab 2020 gewaltige Steuerausfälle:

  • Der Solidaritätszuschlag wurde 1995 (nach seinem Vorläufer aus 1991) als Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer eingeführt, um die Finanzierung des Solidarpaktes I und II sicherzustellen. Im Rahmen des Solidarpaktes I haben die neuen Bundesländer und Berlin von 1993 bis 2004 94,5 Mrd. Euro erhalten. Der 2005 in Kraft getretene Solidarpakt II (er läuft bis 31.12.2019) sieht vor, dass der Bund in diesem Zeitraum insgesamt weitere 156,5 Mrd. Euro zur Verfügung stellt. Fast zwei Drittel davon (105 Mrd. Euro) standen den ostdeutschen Ländern vor allem für den Abbau von teilungsbedingten Rückständen in der Infrastruktur zur Verfügung. Dazu gehören z.B. der Bau von neuen Straßen und anderen Verkehrswegen sowie Büro- und Wohngebäuden oder die Modernisierung von Telekommunikationswegen. Aktuell fließen nur noch rund 20 Prozent des Soli-Aufkommens von rund 19 Mrd. Euro in  die ostdeutschen Länder und Berlin.
  • „Ergänzungsabgaben“ dienen der Deckung eines temporären, besonders beschriebenen Finanzbedarfs, stellen also kein Dauerfinanzierungsinstrument dar. Fällt die gesetzliche Zweckbindung Ende 2019 weg, entfällt auch die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für eine weitere Soli-Erhebung. Der Soli entpuppt sich dann als „versteckte“, dauerhafte Steuererhöhung ohne gesetzliche Grundlage.
  • Der BMF-Vorschlag einer Soli-Abschaffung für 90 Prozent der Zahler und stufenweisen Entlastung von weiteren 6,5 Prozent birgt ein erhebliches Risiko einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) zumindest der 3,5 Prozent Steuerzahler, die den Soli weiterhin zahlen sollen. Das Argument, „Reiche dürfen nicht entlastet werden“ ist sicherlich kein hinreichender Differenzierungsgrund und dürfte vor dem BVerfG keinen Bestand haben.

Ausblick

In der steuerpolitischen Debatte steht uns heißer Herbst bevor, das belegt auch die Diskussion über die Grundsteuerreform. Für den Solidaritätszuschlag haben jedenfalls die Spitzenverbände der Wirtschaft zu Recht im Gesetzgebungsverfahren eine verbindliche Regelung zur vollständigen Abschaffung gefordert. Ist dies ab 2020 für alle aus Haushaltsgründen nicht möglich, muss ein gestreckter Abbau hiernach wenigstens bis zum Ende des neuen Finanzplanungszeitraums, also bis 2023 erfolgen.

Lesen Sie hierzu auch im NWB Experten-Blog:

Endlich soll der Soli fallen – aber leider nicht für alle!

Weitere Informationen:

 

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