Corona-bedingte Aussetzung des Insolvenzeröffnungsgrundes „Überschuldung“

Reform des Überschuldungsbegriffs durch das SanInsFoG – Braucht man die Überschuldung überhaupt noch?


Mit Unterschrift des Bundespräsidenten erfolgt die Änderung des COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetzes (COVInsAG). Ziel ist eine Verlängerung des Verzichts auf eine Antragspflicht bei Vorliegen der Überschuldung bis zum Ende des Jahres 2020. Es soll vorübergehend vermieden werden, dass derzeit zahlungsfähige Unternehmen bedingt durch die Coronakrise zu einem Insolvenzantrag gezwungen werden.

Da der Insolvenzgrund der Überschuldung seit Anfang März 2020 insgesamt doch recht lange ausgesetzt sein wird, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es dieses Insolvenzgrundes überhaupt bedarf oder ob man ihn einfach aufheben könnte?

Außerhalb der Geltung des COVInsAG müssen die gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft oder organschaftlichen Vertreter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Vorliegen der Überschuldung unverzüglich, jedoch spätestens innerhalb von 3 Wochen einen Antrag zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen (§ 15a Abs. 1, 2 InsO). Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Gläubiger antragsberechtigt.

Gemessen wird die Überschuldung de lege lata in einem zweistufigen Verfahren. Danach liegt Überschuldung vor, wenn kumulativ eine negative Fortführungsprognose und eine rechnerische Überschuldung in einem unter Liquidationsannahme erstellten Status gegeben sind (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die negative Fortführungsprognose ist dabei i.S. einer drohenden Zahlungsunfähigkeit während des Prognosezeitraums zu verstehen. Der Prognosezeitraum umfasst dabei mindestens das laufende und folgende Geschäftsjahr.

Den Insolvenzgrund der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit kann man sicher leicht begründen. Spätestens wenn ein Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Verpflichtungen zu bedienen, ist ein Weiterwirtschaften nicht mehr zu akzeptieren, weil die Gefährdung der weiteren Gläubigeransprüche offensichtlich ist. Spätestens wenn fällige Verpflichtungen nicht mehr erfüllt werden können, ist das vorhandene Vermögen für die Bedienung der Gläubigeransprüche zu sichern und ggf. eine Sanierung im Planverfahren zu erwägen, sofern dies zu einem so späten Zeitpunkt überhaupt noch realistisch ist..

Fraglich ist jedoch, welche Berechtigung die Überschuldung als zur Antragspflicht führender Insolvenzgrund hat? Gäbe es weder den Insolvenzgrund der Überschuldung noch einen wirkungsgleichen Ersatz, würden Gläubigeransprüche gefährdet, bis es wegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit gar nicht mehr geht und eine Sanierung des Schuldners kaum noch möglich erscheint. Die Überschuldung dient also dazu, die Gefährdung der Gläubigeransprüche frühzeitiger anzuzeigen als die eingetretene Zahlungsunfähigkeit und ggf. auch eine Sanierung zu ermöglichen, bevor es zu spät ist.

Damit ist die ökonomische Rechtfertigung der Überschuldung letztlich in einer prospektiven Anzeige der Gefährdung von Gläubigeransprüchen zu sehen. Traditionell wurde das als Situation verstanden, in der das in einem Insolvenzstatus erfasste Vermögen die Schulden nicht mehr deckt.

Wegen der Probleme bei der Erfassung und Bewertung von Vermögen und Schulden und vor allem wegen des Fehlens von Informationen zur Fristigkeit von Ansprüchen und Verpflichtungen in einem solchen Status steht heute die Fortführungsprognose als Zahlungsfähigkeitsprognose im Vordergrund der Überschuldungsprüfung. Droht ein Unternehmen seine künftig fällig werdenden Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen zu können, ist die Gefährdung der Gläubigeransprüche angezeigt. Im Rahmen des Insolvenzgrundes der Überschuldung lässt der Gesetzgeber das Unternehmen aber solange weiterarbeiten, wie in einem Überschuldungsstatus das Liquidations-Reinvermögen noch nicht negativ ist. Das ist offensichtlich fragwürdig, zeigt doch schon die negative Fortführungsprognose die Gefährdung der Gläubigeransprüche wegen erwarteter Zahlungsunfähigkeit an.

Im Ergebnis erscheint der Insolvenzgrund der Überschuldung in seiner heutigen Form einer zweistufigen Messung zwar weniger problematisch als nach traditionellem Verständnis nur einer statischen Überschuldungsbilanz. Jedoch ist doch letztlich die negative Fortführungsprognose und damit die drohende Zahlungsunfähigkeit der entscheidende Indikator für die Gefährdung der Gläubigeransprüche. Mithin erscheint die Aufgabe des Insolvenzgrunds der Überschuldung zugunsten einer Antragspflicht bei Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit überzeugender. Der völlige Verzicht auf einen zukunftsgerichteten Insolvenzgrund durch Abschaffung der Überschuldung, ohne einen Ersatz zu schaffen, würde jedoch der weiteren Gefährdung von Gläubigeransprüchen Vorschub leisten.

Das BMJV hat nun den Referentenentwurf eines Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetzes (RefE-SanInsFoG) vorgelegt. Das System der Insolvenzgründe und Antragspflichten soll durch den RefE-SanInsFoG insoweit modifiziert werden, als im Rahmen der zweistufigen Überschuldungsprüfung die insolvenzrechtliche Fortführungsprognose auf einen Prognosezeitraum von 12 Monaten beschränkt wird (§ 19 Abs.2 RefE-InsO) und die Erfüllung der Antragspflicht für den Fall der Überschuldung während eines Zeitraums von höchstens 6 Wochen erfolgen soll (§ 15a RefE-InsO). Zudem soll im Zusammenhang mit der Coronakrise der Prognosezeitraum der insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose im Rahmen der zweistufigen Überschuldungsprüfung befristet bis zum 31.12.2021 nur noch vier Monate betragen, sofern

  1. der Schuldner zum 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war,
  2. der Schuldner in dem letzten, vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und
  3. der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 40 vom Hundert eingebrochen ist (§ 4 RefE-COVInsAG).

Für den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit soll der Prognosezeitraum in der Regel 24 Monate betragen. Die Risiken aus Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang sollen zurückgenommen werden, solange der Antragspflichtige die Vorbereitung der Antragstellung oder Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Überschuldung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt (§ 15b RefE-InsO). Jedoch sollen die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmen bei drohender Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gläubiger wahren und bei Pflichtverletzung haften (§ 2 RefE-StaRUG). Die Geschäftsleiter einer juristischen Person sollen fortlaufend über Entwicklungen wachen, die den Fortbestand der juristischen Person gefährden können; werden solche Entwicklungen erkannt, sollen geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen und Organe informiert werden (§ 1 RefE-StaRUG). Mit dem letzten Vorschlag soll eine ohnehin als Grundsatz ordnungsmäßiger Geschäftsführung bestehende Anforderung ins Gesetz aufgenommen werden.

Sinnvoller wäre nach den oben in diesem Blog dargestellten Ergebnissen stattdessen ein Ersatz des Insolvenzgrundes der Überschuldung durch eine Antragspflicht bei drohender Zahlungsunfähigkeit. Der Unterschied läge im Kern darin, dass bei drohender Zahlungsunfähigkeit eine vorübergehende Vermeidung der Antragspflicht wegen eines noch positiven Liquidations-Reinvermögens nicht mehr möglich wäre.

Es bleibt abzuwarten, ob das RefE-SanInsFoG in der vorgeschlagenen Form Eingang in die Gesetze finden wird. An zahlreichen Punkten würden sich neue Rechtsfragen stellen, die bis zur gerichtlichen Klärung für zunehmende Rechtsunsicherheit sorgen können. Wegen der komplexen Regelungszusammenhänge ist eine gründliche Beratung der Vorschläge geboten. Ob der verbleibende Rest der Legislaturperiode dafür ausreicht, erscheint zweifelhaft.

Weitere Informationen:

Mujkanovic, Ist die Überschuldung als Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren überflüssig? StuB 2020, S. 632-637 (kostenfrei für Abonnenten)

RefE eines Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetzes (auf www.bmjv.de)

Lesen Sie im Blog auch meinen Beitrag zum Restrukturierungsplan nach dem StaRUG


2 Gedanken zu “Corona-bedingte Aussetzung des Insolvenzeröffnungsgrundes „Überschuldung“

  1. Ein sehr gut geschriebener Artikel, herzlichen Dank dafür!
    Im Grunde war die Verschiebung der Insolvenzanmeldepflicht eine Chance mit der besonderen COVID-19 Situation zu handhaben, doch ist es interessant zu sehen, wie sehr doch die Einflüsse davon jetzt schon die Wirtschaft treffen. Es ist klar, dass man sich immer mit einer darin spezialisierten Fachkraft über dieses Thema sprechen muss. Nicht allen Unternehmen liegt es, sich um solche Fragen alleine zu kümmern. In diesem Artikel wird mir das ebenfalls gut hervorgehoben.
    Ich freue mich bereits auf den nächsten! MfG Anna K.

  2. Es ist generell einfach Schade, dass einige Unternehmen während Corona Insolvenz beantragen mussten. Vermutlich hatten die Anwälte für Insolvenzrecht zu dieser Zeit viel zu tun. Ein Bekannter von mir ist Geschäftsführer, er meinte, dass er kaum noch Aufträge bekommen hat.

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