Bürokratieabbau bleibt auch im neuen Jahr ein (politischer) Dauerbrenner. Auf allen Ebenen werden größere Anstrengungen beim Bürokratieabbau gefordert. Aber wo bestehen noch Entlastungspotentiale?
Hintergrund
Am 1.1.2025 sind das Bürokratientlastungsgesetz (BEG IV) und die Bürokratientlastungsverordnung (BEV) in Kraft getreten. Die Bundesregierung, auf die das BEG IV zurückgeht, erwartet durch das Artikelgesetz, das unterschiedlichste Rechtsbereiche betrifft, finanzielle Entlastungen in Höhe von 944 Millionen Euro pro Jahr. Auch die BEV ist Teil der sog. Meseberger Beschlüsse zum Bürokratieabbau und enthält 32 Rechtsänderungen, deren jährliche Entlastung für die Wirtschaft sich auf rund 420 Millionen Euro beläuft – ich habe im Blog weiderholt berichtet.
Wirtschaft und Normenkontrollrat fordern weitere Entlastungsmaßnahmen
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel: Auch unmittelbar nach Inkrafttreten von BEG IV und BEV fordert die Wirtschaft nach „dem Schritt in die richtige Richtung“ weitere Entlastungen. Nach einer Studie des IfO-Instituts im Auftrag der IHK München und Oberbayern entgehen Deutschland jedes Jahr durch überbordende Bürokratie bis zur 146 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung. Damit schlummert im Bürokratieabbau ein gewaltiges wirtschaftliches Wachstumspotential. Auch aus Sicht des Nationalen Normenkontrollrats (NKR), der alle Gesetzgebungsprozesse auf Bundesebene mit seiner Expertise begleitet, muss der Bürokratieabbau dringend schneller vorankommen, um einen Kollaps der öffentlichen Verwaltung zu verhindern. Deshalb müsse die nächste Bundesregierung fundamentale Änderungen vornehmen, den Vollzug ihrer Reformen bei der Gesetzgebung gleich mitdenken und Prozesse ändern.
Reaktion der Politik
Das jetzt in Kraft getretene BEG IV reicht selbst nach Einschätzung des Bundestages nicht aus, weil Bürokratieabbau nicht ein punktuelles legislatives Ereignis, sondern ein fortlaufender Prozess ist. Deswegen ist uneingeschränkt zu begrüßen, dass der Bundestag mit dem Beschluss des BEG IV am 26.9.2024 auch eine Entschließung (BT-Drs. 20/13015 unter b.) verabschiedet hat, die weitere Bürokratieabbaumaßnahmen in den Blick nimmt. Das BMJ hat angekündigt, dass es ab 2025 jährlich ein Bürokratieentlastungsgesetz geben soll.
In einer Entschließung vom 20.12.2024 hat der Bundesrat (BR-Drs. 603/24) festgestellt, dass Berichts-, Melde- und Dokumentationspflichten oft einen europäischen Ursprung haben. Die Bundesregierung dürfe deshalb bei der Umsetzung europäischen Rechts nicht noch weitere bürokratische Hürden aufbauen. Die Bundesregierung solle daher zukünftig auf eine Übererfüllung der EU-Vorgaben (sog. Goldplating) verzichten. Dies würde die Planungssicherheit der Unternehmen deutlich erhöhen. Eine restriktive Umsetzung europäischer Vorgaben führe zu mehr Rechtsgleichheit und -klarheit und fördere damit auch einen besseren Zusammenhalt und eine bessere nachhaltige Entwicklung in der EU.
In einem Schreiben von Anfang Januar 2025 fordert Bundeskanzler Scholz von der EU-Kommissionspräsidentin konkrete EU-Maßnahmen zum Bürokratieabbau. Man stehe „gemeinsam“ vor der dringenden Aufgabe, strategische Abhängigkeiten zu verringern und die EU in Schlüsselsektoren an die Weltspitze zu bringen. Dringenden Handlungsbedarf sieht Scholz etwa bei Berichtspflichten von Unternehmen zu nachhaltigem Wirtschaften, die eine EU-Richtlinie regelt: In der gegenwärtigen Form stehe der Mehrwert „in keinem Verhältnis zum bürokratischen Aufwand für die Unternehmen“. Scholz schlägt vor, die Berichtspflicht um zwei Jahre zu verschieben und die Schwellenwerte bei der Umsatzhöhe und Beschäftigtenzahl anzuheben.
Bewertung
Bürokratieabbau ist nicht nur ein gewaltiges Wachstumshemmnis für die Wirtschaft, sondern – wie man aktuell wahrnimmt – auch ein beliebtes Wahlkampfthema. Richtig ist hierbei, dass der Kampf gegen überbordende Bürokratie auf allen Ebenen ansetzen muss:
Gesetzgebung: Der beste Abbau von Bürokratie ist, wenn Rechtssetzung Bürokratie erst gar nicht entstehen lässt, deshalb sollte bei der Gesetzgebungstätigkeit der Stimme des NKR mehr Gewicht beigemessen werden. Bestehende Dokumentationspflichten, Berichtspflichten und Statistikmeldungen, Datenschutzvorgaben und Dauer von Verwaltungsverfahren gehören auf den Prüfstand, müssen verschlankt oder komplett abgeschafft werden. Das gilt nicht nur für nationale Gesetzgeber, sondern vor allem auch für EU-Vorgaben durch Verordnungen und Richtlinien. Hier muss Deutschland auf EU-Ebene deutlicher und frühzeitiger seine Stimme erheben, um EU-Bürokratieregeln zu verhindern oder zu blockieren.
Verwaltung: Die öffentliche Verwaltung darf nicht ständig mit neuen zusätzlichen Aufgaben belastet werden, die sie personell gar nicht mehr bewältigen kann. Digitalisierungsprozesse in der öffentlichen Verwaltung auf Bundes- und Länderebene dringend beschleunigt und vernetzt werden. Würde Deutschland bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung auf das Niveau von Dänemark aufschließen, wäre die Wirtschaftsleistung nach Berechnungen des IfO-Instituts um 96 Mrd. Euro pro Jahr höher. Eine noch höhere Quote beim Digitalcheck im Zuge von Gesetzgebungsverfahren könnte auf diesem Weg helfen.
Weitere Informationen:
- Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV), BGBl 2024 I Nr. 323 v. 29.10.2024
- Bürokratientlastungsverordnung (BEV), BGBl 2024 I Nr. 411 vom 13.12.2024
- IfO-Pressemitteilung v. 14.11.2024: Bürokratie in Deutschland kostet jährlich 146 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung | Pressemitteilung | ifo Institut (PM v. 14.11.2024)
- Normenkontrollrat (NKR) v. 19.12.2024: NKR – Presse & Aktuelles – Warum ist Bürokratieabbau so schwer? (Normenkontrollrat v. 19.12.2024
- Bundesratsentschließung Übererfüllung von EU-Vorschriften (Goldplating) verhindern, BR-Drs. 603/24 (Entschließung):
- Wirtschaftspolitik: Scholz fordert von der Leyen zu Abbau von Bürokratie in der EU auf | ZEIT ONLINE