Entfernungspauschale: Wann kann die verkehrsgünstigere Straßenverbindung angesetzt werden?

Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte werden mit der Entfernungspauschale berücksichtigt. Für die Bestimmung der Entfernung ist die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte maßgebend; eine andere als die kürzeste Straßenverbindung kann zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte benutzt wird (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG). Die Betonung liegt auf den Worten „offensichtlich verkehrsgünstiger“ und „regelmäßig“.

Das Niedersächsische FG hat entschieden, dass es nicht ausreicht, wenn die Umwegstrecke bei extremen Stauverhältnissen auch ´mal verkehrsgünstiger und schneller sein kann als die kürzere Verbindung. Entscheidend sei vielmehr, dass die erste Tätigkeitsstätte trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen durch Benutzung der Umwegstrecke in der Regel schneller und pünktlicher erreicht wird (Niedersächsisches FG, Urteil vom 3.4.2024, 9 K 117/21).

Der Sachverhalt:

Der Kläger nutzt für die Fahrt zur Arbeit die längere Strecke, da sie seinen Angaben nach verkehrsgünstiger sei (102 Km statt 75 Km). Staubedingt ergäbe sich während der Berufszeiten auf der kürzeren Strecke häufig ein erheblicher Zeitverlust. Die kürzere Strecke sei zudem auch unfall- und baustellenträchtiger. Der Kläger verwies zudem auf seine Schwerbehinderung. Nach einer Rücken-OP sei ihm längeres Sitzen nicht möglich. Hinzu komme, dass er aufgrund eines folgenschweren Verkehrsunfalles an einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung nach Extrembelastung leide. Er befahre zur Vermeidung des Anblicks der auf der kürzeren Strecke häufig auftretenden Unfälle regelmäßig die für ihn weniger belastende längere Route. Das Autofahren stelle für ihn eine ausgesprochen belastende Situation dar. Doch alle Argumente halfen nicht. Das Finanzamt akzeptierte nur die kürzere Strecke. Auch die Klage blieb erfolglos.

Die Begründung:

Das Gericht konnte nicht feststellen, dass die vom Kläger benutzte längere Strecke (hier über die A7 / A 39) verkehrsgünstiger ist als die kürzeste Strecke (hier über die A2 / A 391). Die kürzere Strecke über die A 2 / A 391 ist nach der Google-Maps-Recherche des Gerichts bei üblicher Verkehrslage sogar um 11 Minuten schneller. Dass bei extremen Stauverhältnissen die Umwegstrecke auch einmal verkehrsgünstiger und schneller sein kann, stellt das Gericht nicht in Abrede. Entscheidend ist jedoch, ob die erste Tätigkeitsstätte trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen in der Regel durch Benutzung der Umwegstrecke schneller und pünktlicher erreicht wird.

Das Gericht war nicht davon überzeugt, dass dies regelmäßig der Fall ist. Das Gericht war auch nicht davon überzeugt, dass eine Benutzung der Fahrtstrecke über die A 2 wegen einer vom Kläger behaupteten erhöhten Unfallgefährlichkeit unzumutbar ist. Gleiches galt bezüglich der vom Kläger geschilderten Krankheitssituation.

Denkanstoß:

Wer im Rahmen seiner Steuererklärung eine längere Fahrstrecke geltend macht, sollte das Urteil des Niedersächsischen FG genau studieren. Auch wenn es im konkreten Fall für den Steuerpflichtigen nachteilig war, so lassen sich ihm doch einige Argumente entnehmen, die für die Berücksichtigung einer längeren Strecke sprechen.

Viele Finanzämter wollen eine längere Strecke übrigens nur dann berücksichtigen, wenn die Zeitersparnis mindestens 20 Minuten pro Fahrt beträgt. Doch diese Bedingung ist kein Kriterium dafür, eine längere Wegstrecke abzulehnen. Sonst könnte ja bei einer Fahrzeit von 20 Minuten niemals eine schnellere Route in Betracht kommen. Vielmehr muss eine zeitliche Ersparnis im Verhältnis zur Gesamtdauer der Fahrt gesehen werden (BFH-Urteil vom 16.11.2011 – VI R 19/11).

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