Kosten einer Pflege-Wohngemeinschaft als außergewöhnliche Belastungen

Seit jeher ist anerkannt, dass Aufwendungen für die Unterbringung in einem Pflegeheim wegen Pflegebedürftigkeit, Behinderung oder Krankheit als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind. Nun sind in den vergangenen Jahren aber zunehmend so genannte Pflege-Wohngemeinschaften entstanden. Und hier stellt sich die Frage, ob auch die Kosten für diese Wohngemeinschaften als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden können. Das FG Köln hatte dies bejaht (Urteil vom 30.9.2020, 3 K 1858/18). Nunmehr hat der BFH die hiergegen gerichtete Revision des Finanzamts zurückgewiesen (BFH-Urteil vom 10.8.2023, VI R 40/20).

Der Sachverhalt:

Der 1965 geborene Kläger ist aufgrund eines Motorradunfalls schwerbehindert. Neben einem Grad der Behinderung von 100 weist sein Schwerbehindertenausweis die Merkzeichen G, B und H aus. Er ist von der Pflegekasse in Pflegegrad 4 eingestuft. Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung Miet- und Verpflegungskosten für seine Unterbringung in einer Pflege-WG als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das Finanzamt lehnte die Berücksichtigung der Aufwendungen ab. Der Kläger sei nicht in einem Heim, sondern in einer Wohngemeinschaft mit Betreuungsleistungen, hier  i.S. des § 24 Wohn- und Teilhabegesetz NRW (WTG NW), untergebracht. Dem folgten das FG Köln und auch der BFH jedoch nicht und berücksichtigten die Kosten als außergewöhnliche Belastungen. Abgezogen wurden allerdings die Haushaltsersparnis und die zumutbare Belastung. Der Behinderten-Pauschbetrag konnte im Übrigen nicht zusätzlich gewährt werden.

Begründung:

Die Begründung des FG lautete bereits: Die Unterbringung eines Menschen im arbeitsfähigen Alter in einer Pflege-WG ist außergewöhnlich. Auch ist kein Unterschied zwischen den verschiedenen, vom Gesetzgeber gleichermaßen anerkannten Formen der Unterbringung pflegebedürftiger Menschen ersichtlich. Der BFH argumentiert ähnlich: Aufwendungen sind als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn sie mit einer Krankheit und der zu ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen. Entsprechendes gelte, wenn der Steuerpflichtige behinderungsbedingt in einer dafür vorgesehenen Einrichtung untergebracht ist. Für den Abzug der Unterbringungskosten in einer Wohngemeinschaft mit (ambulanten) Betreuungsleistungen mache es keinen Unterschied, ob es sich hierbei um eine anbieterverantwortete Wohngemeinschaft oder um eine selbstverantwortete Wohngemeinschaft handelt. Denn beide Wohngemeinschaften dienen nicht anders als ein „Heim“ oder eine Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot zuvörderst dem Zweck, ältere oder pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderung aufzunehmen und ihnen Wohnraum zu überlassen, in dem die notwendigen Betreuungs-, Pflege- und Versorgungsleistungen erbracht werden. Die Unterbringungskosten seien jedoch nur insoweit nach § 33 Abs. 1 EStG abziehbar, als sie die Haushaltsersparnis übersteigen. Neben den Aufwendungen für die behinderungsbedingte Unterbringung ist der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG nicht zu berücksichtigen.

Denkanstoß:

Bereits mit Urteil vom 23.5.2002 (III R 24/01, BStBl 2002 II S. 567) hatte der BFH zwar entschieden: Kosten für die behinderungsbedingte Unterbringung in einer betreuten Wohngemeinschaft können außergewöhnliche Belastungen sein. Werden die Kosten vom Sozialhilfeträger übernommen, braucht die Notwendigkeit der Unterbringung nicht anhand eines amtsärztlichen Attestes nachgewiesen zu werden.  Die Frage, ob Voraussetzung für die Anerkennung von außergewöhnlichen Belastungen ist, dass der Steuerpflichtige in einem Heim im Sinne des § 1 HeimG bzw. einer Einrichtung mit umfassenden Leistungsangebot im Sinne des § 18 WTG NW untergebracht ist, war aber dennoch höchstrichterlich nicht geklärt. Erfreulicherweise ist diese Klärung nun im Sinne der Steuerpflichtigen erfolgt.

Krankheitskosten aufgrund Wegeunfall doch als Werbungskosten abziehbar

Mein Aufreger des Monats November 2018 lautete „Unfallkosten für Wegeunfall erneut nicht anerkannt“. Es ging um die Frage, ob Krankheitskosten, die durch einen Unfall auf dem Weg zur bzw. von der Arbeit verursacht worden sind, als Werbungskosten abgezogen werden können. Seinerzeit hatte ich eine Entscheidung des FG Baden-Württemberg vom 19.1.2018 (5 K 500/17) harsch kritisiert, und zwar nicht nur wegen des negativen Urteils an sich, sondern weil die Finanzrichter eine Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Meister (BT-Drucksache 18/8523 vom 20.5.2016) meines Erachtens vollkommen falsch interpretiert hatten und die eigene Auslegung dann zum Maßstab ihrer Entscheidung gemacht haben.

Glücklicherweise ist der BFH dem nun entgegengetreten und hat der Steuerzahlerin recht gegeben. Das heißt: Weiterlesen

Behandlungskosten bei einem Wegeunfall als Werbungskosten

Unfälle auf dem Weg zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte treten immer noch zu häufig auf. Der BFH hat aktuell mit Urteil vom 19.12.2019 (Az. VI R 8/18) entschieden, dass Aufwendungen in Zusammenhang mit der Beseitigung oder Linderung von Körperschäden, die durch einen Unfall auf einer beruflich veranlassten Fahrt zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte eingetreten sind, als Werbungskosten abgezogen werden.

Die Behandlungskosten werden von der Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale nicht erfasst. Diese erstreckt sich nur auf fahrzeug- und wegstreckenbezogene Aufwendungen. Die fahrzeugbezogenen Unfallkosten lässt der BFH auch weiterhin nicht neben der Entfernungspauschale zum Abzug zu. Soweit die Finanzverwaltung – hiervon abweichend – bei den Unfallkosten zugunsten der Steuerpflichtigen entscheidet (H 9.10 „Unfallschäden“ Lohnsteuer-Hinweise), beschreitet der BFH diesen Weg nun für die Behandlungskosten im Zusammenhang mit einem Wegeunfall.

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Scheidung auf ärztlichen Rat ist keine außergewöhnliche Belastung

Ehescheidungskosten sind generell nicht mehr als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG absetzbar (§ 33 Abs. 2 Satz 4 EStG). Andererseits gilt: Ein Abzug ist möglich, wenn der Bürger ohne Prozess Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Und letztlich: Aufwendungen zur Heilung oder Linderung einer Krankheit entstehen zwangsläufig aus tatsächlichen Gründen und sind daher als außergewöhnliche Belastungen allgemeiner Art nach § 33 EStG absetzbar.

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Kosten für Besuch eines Fitnessclubs nicht abziehbar – trotz ärztlicher Bescheinigung!

Krankheitskosten sind als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG absetzbar, wenn die medizinische Notwendigkeit durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachgewiesen wird (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV). Handelt es sich um wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, ist ein Attest des Amtsarztes oder eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung erforderlich (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 f EStDV).

Aber: Jüngst hat das FG Köln entschieden, dass Aufwendungen für den Besuch eines Fitness- und Gesundheitsclubs selbst dann nicht abziehbar sind, wenn ein Arzt die Erforderlichkeit eines Aufbautrainings für die Muskulatur aufgrund eines schweren körperlichen Leidens bescheinigt. Vielmehr bedürfe die Anerkennung der entsprechenden Kosten die Verschreibung einer konkreten und individuellen Therapiemaßnahme (Urteil vom 30.1.2019, 7 K 2297/17).

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Bei Gericht: Interessante Steuerstreitigkeiten im August 2019

Im sommerlichen August geht es diesmal um Schulhunde die den Werbungskostenabzug ermöglichen sollen, der Frage ob Krankheitskosten in ganz bestimmten Fällen nicht doch ohne Berücksichtigung der zumutbaren Belastung abgezogen werden dürfen und die Frage, ob das Finanzamt ganz einfach eine Zahlungsverjährung unterbrechen kann oder dafür doch ein wenig mehr zu tun ist.

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Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethoden

Damit Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethoden als außergewöhnliche Belastung steuerlich abzugsfähig sind, bedarf es zum Nachweis der Zwangsläufigkeit eines zuvor ausgestellten Gutachtens des Amtsarztes oder einer Bescheinigung des medizinischen Dienstes der Krankenkasse. Weiterlesen

Alternative Heilmethoden: Auch knappes amtsärztliches Attest reicht aus

Krankheitskosten sind bekanntlich als außergewöhnliche Belastungen allgemeiner Art gemäß § 33 EStG absetzbar. Voraussetzung dafür aber ist, dass die medizinische Notwendigkeit, d.h. die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachgewiesen wird (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV). Handelt es sich um wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, ist ein Attest des Amtsarztes oder eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung erforderlich (§ 64 Abs. 1 Nr. 2f EStDV). Mit nun rechtskräftigem Urteil vom 4.7.2018 (1 K 1480/16) hat das FG Rheinland-Pfalz aber eine erfreuliche Entscheidung getroffen. Danach kann ein Steuerpflichtiger Kosten für eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethode auch dann als außergewöhnliche Belastung steuerlich geltend machen kann, wenn er dem Finanzamt zum Nachweis der Erforderlichkeit der Behandlung nur eine kurze Stellungnahme des Amtsarztes und kein ausführliches Gutachten vorlegt.

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Finanzverwaltung verweigert zügige Korrektur der ESt-Bescheide

Bekanntlich hat der BFH die Berechnung der zumutbaren Belastung zugunsten der Steuerpflichtigen korrigiert (VI R 75/14; s.a. meinen Blog-Beitrag vom 16.05.2017 „Korrektur der zumutbaren Belastung durch den BFH – was nun?“). Es verwundert nicht, dass die Finanzverwaltung die notwendige Korrektur der ESt-Bescheide verzögert. Siehe zu den Berichtigungsmöglichkeiten aktuell Bergan in NWB 32/2017. Weiterlesen

Bei Gericht: Interessante Steuerstreite im Juni 2016

Aller guten Dinge sind drei. Daher auch wieder in diesem Monat drei ausgewählte Anhängigkeiten beim Bundesfinanzhof (BFH) in München. Vielleicht können ja auch Sie von einem dieser Verfahren profitieren.

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